Mi, 26. 9, 18.00–21.30: Diskussionsrunde
Archive Räume Geschichten Zukünftiges
Vorträge mit Diskussionsrunde zu Praxen, Recherchen und Archivpolitiken in der Frauen- und Lesbengeschichte im Kunstfeld.mit Joana Coppi, Li Gerhalter, Margit Hauser und Manuela Zechner
Joana Coppi: Nicht Vergangenheit verehren, sondern Verbindungen mit der Gegenwart herstellen – Das Lesbian Herstory Archives in New York
Das Lesbian Herstory Archives, gegründet 1973 in New York, ist eines der ältesten und größten lesbischen Archive der Welt. Im Verlauf des fast 40jährigen Bestehens haben sich nicht nur lesbische Lebensweisen, Politiken, Konzepte von Geschichtsschreibung und damit das Archiv selbst verändert. Vielmehr hat das Archiv auch zahlreiche Konflikte über Identitäts- und Geschichtspolitiken unter Mitstreiter_innen und Unterstützer_innen überdauert. Der kollektive Umgang mit Traditionen, Konflikten und Veränderungen lesbischer Archivpolitiken steht im Mittelpunkt des Beitrags.
Li Gerhalter: Sammlung Frauennachlässe
In der Sammlung Frauennachlässe am Institut für Geschichte der Universität Wien sind aktuell die Vor- und Nachlässe von 330 Personen archiviert. Die Schreiberinnen sind junge und alte, städtische und ländliche Frauen aus unterschiedlichen sozialen Zusammenhängen, ebenso wie ihre Familienangehörigen, Bekannten, Freundinnen und Freunde. Kaum jemand von ihnen stand in einer prominenten Öffentlichkeit, aber alle haben geschrieben und auto/biographische Dokumente hinterlassen. Die Inhalte und die Materialität dieser Tagebücher, Briefwechsel, Haushaltsbücher, Poesiealben, Fotografien etc. sind so vielfältig wie die unterschiedlichen Lebensgeschichten der einzelnen Personen. In der Sammlung Frauennachlässe werden die Dokumente gesammelt, erschlossen und der Forschung und universitären Lehre zugänglich gemacht.
Als wissenschaftliche Institution ist die Sammlung Frauennachlässe ein Beispiel für die Fokussierung auf die „neuen“ historischen Fragestellungen der letzten Jahrzehnte, die Etablierung der Frauen- und Geschlechtergeschichte und der Auto/Biografieforschung. Mit dem primären Interesse an Vor- und Nachlässen von Frauen, die nicht einer bestimmten Berufs- oder Personengruppe, einer politischen Bewegung oder Partei angehörten, ist die Sammlung Frauennachlässe im europäischen Raum einzigartig. Website: www.univie.ac.at/geschichte/sfn
Margit Hauser: STICHWORT. Archiv der Frauen- und Lesbenbewegung
STICHWORT. Archiv der Frauen- und Lesbenbewegung ist eine von rund vierzig feministischen Archiv- und Bibliothekseinrichtungen im deutschsprachigen Raum, von denen die meisten zum Schwerpunkt Neue Frauen/Lesbenbewegung sammeln. Im STICHWORT, das sich selbst im Frauenbewegungskontext verortet, sind derzeit 760 frauenbewegte Gruppierungen in Österreich seit den 1970er Jahren — von kurzfristigen Aktionsgruppen bis zu jahrzehntelang bestehenden Organisationen archiviert. Darüber hinaus gibt es weitere Dokumente zur deutschsprachigen und internationalen Frauenbewegungen. Anhand von Flugblättern und Plakaten, Videodokumentationen und Audiomitschnitten, Protokollen und Korrespondenzen, Zeitschriften und anderen Publikationen werden die Debatten und Kämpfe einer Bewegung, die medial praktisch von Anfang an totgesagt wurde, sichtbar. Mit der in umfassender Weise auf ein ganzes Land ausgerichteten Sammlung ist STICHWORT im deutschsprachigen Raum praktisch einzigartig; umso genauer lassen sich am Beispiel von STICHWORT grundlegende Problematiken von Frauenbewegungsarchiven aufzeigen.
Manuela Zechner: future archive
Das future archive ist eine Plattform, auf der divergierende Formen des In-die-Zukunft-Denkens stattfinden. Es untersucht, wie Menschen und Kollektive sich selber vis-a-vis der Zukunft konzeptionell und praktisch positionieren – wie sie versuchen Änderungen zu bewirken und wie sie sich nachhaltige Praxen vorstellen. In diesem Sinne instigiert es Gespräche, die in möglichen zukünftigen Zeiten und Räumen stattfinden, wobei zwei oder mehrere Personen performativ und spielerisch für sie relevante Zukunftsversionen ausloten. Es wird vom Standpunkt einer wünschenswerten Zukunft in die Vergangeneheit zurürckgeschaut: in jedem Gespräch wird eine andere Zukunft (und Blick auf die Gegenwart!) verhandelt. Gespräche basieren auf einer Methodik, die sich auf die radikale Pädagogik und militante Untersuchung sowie auf Interview- und Dialogtechniken bezieht. Das Archiv ist online: www.futurearchive.org
Kurzbiografien:
Joana Coppi hat Bildende Kunst und Gender Studies in Berlin, Wien und New York studiert. Identitäts- und Geschichtspolitiken im Kontext des Lesbian Herstory Archives waren das Thema ihrer Masterarbeit.
Li Gerhalter ist Historikerin und Kulturwissenschafterin in Wien. Forschungsschwerpunkte sind Tagebuch- und Auto/Biographieforschung, Freundinnenforschung, Erinnerungspraktiken, materielle Kulturen, Geschlechtergeschichte im 20. Jhds. sowie Sammel- und Archivierungspolitiken. Aktuelle Projekte: Dissertation „Schwärmen für die Lehrerin“ und, gemeinsam mit Christa Hämmerle, Herausgabe eines Sammelbandes zu „Tagebücher von Frauen im 20. Jhd.“ (Arbeitstitel, erscheint bei Böhlau 2013). Seit 2000 betreut Li Gerhalter die Sammlung Frauennachlässe, seit 2007 ist sie Redakteurin des Salon 21, einem Wissenschaftsblog für Themen der Frauen- und Geschlechtergeschichte und ihre „Nachbarinnendisziplinen“. Weitere Informationen zu Publikationen, Ausstellungs- und Websiteprojekten von Li Gerhalter unter http://www.univie.ac.at/Geschichte/sfn -> Kontakt -> Mitarbeiterinnen.
Margit Hauser ist Philosophin und Mitarbeiterin von STICHWORT seit 1988. Sie ist zudem in den Vernetzungszusammenhängen feministischer Archive und Bibliotheken aktiv, wie dem Verein FRIDA in Österreich und dem Dachverband der deutschsprachigen Frauenarchive und bibliotheken i.d.a., wo sie auch Vorstandsfrau ist. Sie publizierte bisher zu feministischer Information und Dokumentation und zu philosophischer Frauenforschung. Neueste Publikation: gem. m. Brigitte Geiger: Archiving Feminist Grassroots Media. In: Elke Zobl, Ricarda Drüeke (eds.), Feminist Media. Participatory Spaces, Networks and Cultural Citizenship, Bielefeld: Transkript, 2012 (im Erscheinen)
Manuela Zechner ist Forscherin und Kulturarbeiterin, die derzeit zwischen London und Österreich lebt. Seit 2005 arbeitet sie am ‘future archive’, das verschiedene Visionen einer wünschenswerten Zukunft artikuliert und radikale kollektive Praktiken der Gegenwart erfasst. Sie beendet derzeit ihre Doktorarbeit über “kollektive Praxen: zwischen Kreativität und ‘Care'” an der Queen Mary University London, und hegt ein wachsendes Interesse an Care-Netzwerken und Praktiken der autonomen Reproduktion. In London ist sie Mitglied der Precarious Workers Brigade, der Micropolitics Group und der Nanopolitics Gruppe, in der sie sich seit ihrer Gründung engagiert. Sie publiziert öfters in militanten und kreativen Online-Plattformen und ist Mitherausgeberin des Buches “Vocabulaboratories ‘(Amsterdam, 2008) mit Paz Rojo und Anja Kanngieser, sowie des ‘Nanopolitics handbook’ (erscheint bei Autonomedia in 2013).